Novalis-Kolloquium: Der Dichter lernt vom Bergmann
Herbert Uerlings eröffnete Weißenfelser Vorträge
Wer die Werke des Dichters Novalis bislang für blassblaue Blumen gehalten hatte,
die vor der Zugluft der Zeiten unter dem Glassturz der Germanistik geschützt
werden müssten, wird in Weißenfels derzeit eines Besseren belehrt. Zum Auftakt
des zweitägigen Kolloquiums über Leben und Werk des Frühromantikers konnte der
Saal die Schar der Interessenten kaum fassen, bereits der erste Vortrag verankerte
die scheinbar esoterischen Erfindungen des Dichters in seiner unmittelbaren
Lebensumwelt. Dabei hatte der Trierer Germanist Herbert Uerlings ein zumindest für
interessierte Laien exotisches Thema gewählt: »Die Bedeutung des Bergbaus für
den Heinrich von Ofterdingen «.
Doch dem Vorsitzenden der Internationalen Novalis-Gesellschaft gelang es mühelos,
von den tatsächlich unübersehbaren Bergbau-Verweisen im Roman-Fragment auf deren
Herkunft aus der Ausbildung des Friedrich von Hardenberg zu schließen. Von einer
verallgemeinernden Perspektive herab beschrieb er diese Wechselwirkung zwischen
poetischer und naturwissenschaftlicher Tätigkeit zudem als Beispiel für die Arbeit
an einer frühromantischen »Universalutopie«, die getrennte Bereiche des
menschlichen Denkens und Daseins auf ihre jeweiligen Ursprungsideen zurückführen
und damit deren wechselseitige Kompatibilität erreichen wollte.
Im »Heinrich von Ofterdingen« konnte Uerlings diese Intention des Dichters
anhand von konkreten Rückgriffen auf die Methoden des Freiberger Mineralogie-Lehrers
Abraham Gottlob Werner aufzeigen, den Novalis im Roman bekanntlich auch in der Figur
des »Alten vom Berg« porträtierte. So sei in dem eingeschobenen Märchen
des Dichters Klingsohr von einem »petrifizierenden Verstand« die Rede,
dessen versteinernde Wirkung Werners Theorien zum Übergang von organischer in
anorganische Materie fortschreibe. Auch das Prinzip der Reihenbildung, mit dem der
Geologe Entwicklungen anschaulich machte, sei als Variation von Charakteren in die
Werkstatt des Dichters übernommen.
Von solchen Beobachtungen war es nur noch ein Schritt bis zu jener Folgerung, die
als Leitmotiv über den auch heute andauernden Vorträgen stehen könnte dass
nämlich jede Tätigkeit, also auch die des Bergmannes, poetisch verstanden werden
könnte. Und dass sich daher aus der praktischen Beschäftigung des Friedrich von
Hardenberg über Novalis lernen lässt.
Andreas Hillger, Mitteldeutsche Zeitung, 23. März 2001
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