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Aquarium > Weißenfels > Novalis-Jahr 2001: Presseberichte > Noelle-Neumanns Eröffnungsrede


Zur Eröffnung der Kabinettausstellung im Novalis-Haus aus Anlaß des 200. Todestages Friedrich von Hardenbergs am 21. März 2001 in Weißenfels

von Elisabeth Noelle-Neumann

Wie sanft ist dieses Gesicht des Novalis –
so hat ihn mein Großvater, Fritz Schaper, gesehen.

Ich kannte kein Bild von Novalis, als ich um 1950 herum zum ersten Mal auf einem Abreißkalender einen Satz von Novalis las, er lautete:

»Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.«

Ich wußte sofort, daß dies die Worte seien, die ich auf meinem Grabstein haben wollte. Damals war ich 35 Jahre alt.

Als 1973 mein erster Mann, Erich Peter Neumann, starb, ließ ich auf seinem Grab auf dem Allensbacher Friedhof eine große Granittafel errichten. Im linken Drittel wurde tief in den Granit geschnitten: »Wo gehen wir denn hin? Immer nach Hause.«

Jetzt verstehen Sie, warum mich der heutige Anlaß, die Eröffnung der Ausstellung zum 200. Todestag († 25.3.1801) von Novalis im Novalis-Haus so stark berührt.

Wie oft hat man meinen Großvater, den Bildhauer Fritz Schaper einseitig gesehen – eben: ein wilhelminischer Künstler, den deutschen Kaiser Wilhelm II. zur Seite. Hatte nicht Wilhelm II. gesagt: »Fritz Schaper ist das Rückgrat meiner Künstlerschaft?«

Was ich an den Skulpturen meines Großvaters liebe, ist die Kraft der Einfühlung – das eindrückliche Goethe-Bild, das ich ihm verdanke, das Goethe-Denkmal im Berliner Tiergarten, mit dem er seinen frühen Ruhm mit kaum 40 Jahren gewann. Das wunderbare Lessing-Denkmal in Hamburg auf dem Gänsemarkt, jeder von Ihnen, der heute nach Hamburg kommt, kann es betrachten: Der im Lehnstuhl sitzende Lessing, von Kopf bis Zeh ein Intellektueller, genau wie heute ein Schriftsteller und Journalist aussieht, zum Beispiel Joachim Fest, lange Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Der herrliche Blücher bei Kaub – großer Feldherr, Verkörperung eines Feldherrn schlechthin, wie er über den Rhein in die Ferne schaut. Luther in Erfurt, der religiöse Bekenner.

Immer hatte ich das Gefühl, daß mein Großvater sich nur um einen Auftrag bewarb, wenn er eine Verwandtschaft zu demjenigen empfand, den er darstellen sollte.

Was ihn bei Novalis angezogen hat, das ist für mich nicht schwer zu erraten.

Hermann Hesse hat einmal über Novalis gesprochen, den er als Romantiker als ihm selbst verwandt empfand.

Er sagte, er habe sich Novalis wegen dessen innerer Wahrhaftigkeit zum Vorbild genommen.

Hermann Hesse charakterisierte Novalis als den Dichter, dem es auch immer um das Denken gegangen sei. Novalis sprach von Texten, die er schreibe, als »Denk-Texte«.

Das ist die magische Formel, die sich als Charakterisierung der Deutschen vor langer Zeit eingebürgert hat: das Volk der Dichter und Denker.

In diesen Tagen fliegt uns die Diskussion um die Ohren: »Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein.« Darf man das sagen? Darf man das nicht sagen?

Auch ich habe mich nicht verweigert, als ich um ein Interview von der Tageszeitung »Die Welt« zum Thema »Ich bin stolz darauf, ein Deutscher zu sein« gebeten wurde. In der Ausgabe von heute, Dienstag, dem 21. März, ist das Interview zu finden.

Friedrich von Hardenberg, Novalis
mein Großvater Fritz Schaper,
die Deutschen, das Volk der Dichter und Denker –

alles dies ist ein Grund für mich, stolz darauf zu sein, daß ich ein Deutscher bin. Und zwar stolz, richtig verstanden: nicht mißverstanden als hochmütig, hochnäsig, sondern eben stolz. Hochmut und Stolz: Wie verschieden sind diese beiden doch!

Hochmütig ist kalt, stolz, das ist warm.
Der Hochmütige setzt sich über andere,
der Stolze verbindet sich mit etwas anderem.

Er/sie ist stolz auf den Sohn, die Tochter, den Enkel, ganz warm wird ihm/ihr, wenn er an seine Kinder denkt.

Stolz auf die eigene Arbeit – stolz auf den eigenen Beruf.

Stolz: das heißt, sich selbst mit etwas anderem verbinden, dem anderen Liebe zuwenden. Wenn man das erkennt, dann ist es nicht mehr so schwer zu verstehen, warum Stolz warm macht.

An Novalis kann mein Großvater das angezogen haben, was Hermann Hesse hervorgehoben hat: die innere Wahrhaftigkeit.

Ich habe meinen Großvater nicht mehr bewußt gesehen, ich war noch nicht drei Jahre alt, als er starb. Aber eine Porträtfotografie habe ich immer in meiner Nähe – ich bin überzeugt, weil ich dieses Gesicht von Wahrhaftigkeit immer sehen will.

Novalis sprach oft davon, daß er sich versenke, das Vertiefen war für ihn das wichtige künstlerische Erlebnis.

Denkt man nicht gleich daran, wie eng mit dem Deutschen verbunden ist das sich versenken, das sich vertiefen?

Wie sehr deutsch ist alles, was wir erkennen, wenn wir in die Welt des Novalis eindringen, wenn Sie heute hier in diese Ausstellung eintreten in die Welt des Novalis – in die Welt des Fritz Schaper – dann gewinnt das Wort »Leitkultur« Anschaulichkeit.

Leitkultur hat tiefe Wurzeln – man denkt an das Buch der Madame de Stael, 1814 veröffentlicht: »Über Deutschland«, die in ihrer Reise von 1812 durch Thüringen ihren Eindruck beschrieb:

Wenn Sie durch die Dörfer von Thüringen reisen: »Ich habe das Gefühl, ein durch den dreißigjährigen Krieg geprägtes Land zu sehen« – Thüringen vor 200 Jahren – Thüringen heute.

Und nun wenden wir uns noch einmal um und der Ausstellung zu. Wir betrachten das sanfte Gesicht des großen Romantikers Novalis, die Büste, die Fritz Schaper von ihm gemacht hat. Wie schön, daß wir sie heute Abend hier sehen können.



 


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Letzte Änderung am 01.09.2001.
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