Leicht wie die Liebe
Verträumt, versnobt, verloren zu seinem 200. Todestag ist Novalis in Wiederstedt und Weißenfels neu zu entdecken
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V.
Novalis-Büste im Stadtpark
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Novalis in Weißenfels. 1784 zog der 13-Jährige mit der Familie in die einstige Residenzstadt.
Sein Vater machte Karriere als Direktor der kursächsischen Salinen. Das Haus der Hardenbergs
in der Klosterstraße 24 steht noch. Nahebei, im Stadtpark, versteckt sich unter einer Tanne
die Büste aus Gipsstein. Wasserschlieren ziehen sich dunkel über Wangen und Kinn des Dichters.
Sein Grab ist mit Tannenzweigen abgedeckt, dazwischen lugt die blaue Blume hervor. Zwei Bänke
laden zum Sitzen ein, auf eine der Rückenlehnen ist ein Herz gemalt, vom Pfeil durchbohrt.
Viele hat dieser Abguss der Porträtbüste beeinflusst. So bekannte die gebürtige Weißenfelserin
Hedwig Courths-Mahler auf dem Höhepunkt ihres Liebesschmonzetten-Ruhms: »Ich habe so oft
auf der Steinplatte des Grabes von Novalis gespielt und meine Phantasie in das Land der Träume
versetzt.«
Der Museumsführer trägt Hosenträger, kariertes Hemd und riecht säuerlich. »Am 25. März
blieb Novalis vormittags im Bett, weil er schwach war. Sein Bruder hat im Nebenzimmer Musik
gemacht. In der Mittagszeit ist Novalis eingeschlafen, ganz ruhig«, haucht er. Ohne
passionierte Hilfskräfte wie ihn hätte das Museum nie seinen Betrieb aufnehmen können. Ein
selbsternannter Kustode mit Insiderwissen. »Ich habe alles von und über Novalis
gelesen«, sagt er. »Novalis ist mein Leben.« Nicht nur Münchner Ärzte haben
Idole.
Die Stadt auf dem Saaleschwemmland am Fuß eines weißen Felsens, von dem sie ihren Namen hat,
ist arm, die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe und in der Fußgängerzone Jüdengasse barmen
Einzelhändler, hier sei keine Kaufkraft vorhanden, null! Einst war die Handelsstadt reich,
Rudimente ihrer Schönheit sind noch da. Die Marienkirche am Markt, alte Bürgerhäuser und
prächtige Portale, frisch aufgeschminkt. Das Rathaus protzt seit 1300 selbstverliebt vor
sich hin. Auf dem Hügel thront das Schloss derer von Sachsen-Weißenfels, ein sächsisches
Nebenfürstentum, das 90 Jahre lang die Stadt mit barocker Pracht und Lebensweise
überschüttete. Bach komponierte eigens für das Fürstentum, das ein deutsches Versailles
werden wollte. Doch Mitte des 18. Jahrhunderts stürzte plötzlich alles in sich zusammen.
Als Novalis kam, war der Spuk vorbei, die prunkvolle Vergangenheit lebte nur noch als
Legende fort.
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Roland Mischke, Süddeutsche Zeitung, 20. März 2001
(Auszug. Das Bild der Novalis-Büste stammt nicht aus der Süddeutschen Zeitung.)
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