Novalis an Christian Friedrich Brachmann in Dobrilugk
Datierung: Tennstedt, 16. November 1794
Umfang: 3 Blätter, 5 S. beschrieben
Signatur: V–6–R
1. und 4. Seite
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2. und 3. Seite
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5. Seite
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[Tennstedt, 16. November 1794. Sonntag]
Gott grüß Dich, Herr College – seit langer
Zeit einmal ein trauliches Wort. Es hat
mich wie der Alp auf dem Herzen gedrückt,
an Dich zu schreiben. Tausend
Zerstreuungen, Händel und Zeitverluste
haben mich immer zu neuen Fristen
genöthigt. Ich praefigirte den lezten
Termin bey Verlust d[es] Beneficii
rest[itutionis] in integr[um] ex capite
negligentiae hier in Tennstedt.
Kreyßamt Tennstedt. Den 16ten
November. 1794.
Erschien der neue Viceactuarius
Fridrich von Hardenberg und gab sich
zum heutigen Termin an et sic porro.
Exceptionssatz in Sachen
Fridrich Brachmanns, Sponsirers und
Correspondenten, Klägers an einem
entgegen
Fridrich von Hardenberg, Sponsirern und Corres-
pondenten, Beklagten am andern Theile.
Herr Beklagter muß sich sehr wundern, daß
man so übereilt von seiten des Herrn
Klägers mit der Ungehorsamsbeschuldigung
verfahren, da ihm doch aus denen Rechten
bekannt seyn muß, daß Beklagter gegen
Verabsäumung des 3ten Fatale annoch in
integrum restituirt werden kann, und der
4te Termin erst bey Verlust dieses
Beneficii angesezt werden. Er bittet daher
in Rechten auszusprechen und zu erkennen:
daß Klägers Suchen in Rücksicht d[er]
Ungehorsamsbeschuldigung nicht statt hatt.
Im Uebrigen will Beklagter eine
Geschichtserzählung vorausschicken, wie
selbige sich der Wahrheit gemäß befindet
und sodann sich auf das Schreiben des
Klägers eventualiter einlassen. Was nun
erstere betrift, so wird Kläger bereits
wissen, daß Bekl[agter] nach Tennstedt in
das dortige Kreysamt versezt und daselbst
unterm 8ten huj[us] in Pflicht genommen
worden. Es ist ihm seitdem nichts widriges
wiederfahren, nur hat er die Milch und
Honigbäche zu Weißenfels, und die jungen
Rehe, die daselbst unter Rosen weiden,
nicht ganz aus dem Gedächtnisse schlagen
können und muß leider gestehn, daß in der
alten räuchrigen Amtsstube ein wahres
Pandämonium zu seyn scheint, in welchem
ihn unaufhörlich der Wollustteufel
chicanirt und mit voluptuoesen Bildern vor
ihn herum auf dem Papier tanzt, ja ihn
sogar hämischer Weise neulich in einem
Protocoll die Feder den Namen eines
Mädchens hinschreiben ließ, da er doch den
höchsten Namen Ew. Churf[ürstlichen]
Durchl[aucht] hinschreiben sollte, mehrere
Neckereyen und Real injurien ungerechnet.
Sonst gefällt es ihm ganz wohl, besonders,
da er zwischen 4 Nachbarinnen wohnt, die
Stück vor Stück zu 18 Jahren taxirt sind,
und besage ihres Anschlags einen guten
fundum dotalem nebst ansehnlichen
Pertinenzien, und Nutzungen aller Art
besitzen, dabey wegen der vorbeygehenden
Straße sehr bequem zum Absatz und Vertrieb
ihrer Producte gelegen zu seyn scheinen.
Uebrigens steht er in guten Vernehmen mit
benachbarten Ortschaften und ist bereits
auf 2 auswärtigen Terminen ein Schrecken
der Partheyen gewesen.
Anlangend aber die Einlassung, so will er sie folgendermaaßen bewerckstelligen:
- bejahet, daß er Kläg[er] gern Michailis bey sich gesehn, besonders da sie sehr fidel und Commerzirend gewesen.
- bejahet, daß Beklagter sich sehr gefreut, als er gehört, daß Kläg[er] sich in Dobrilugk gut amüsirt.
- bejahet, daß dieses besonders geschehn, als er gehört, daß er sich daselbst verliebt
- bejahet, daß er jedoch öfterer geäußert: daß er denselben wenigstens auf Weihnachten e[ius] a[nni] zu sehn wünsche,
- bej[ahet,] daß seine Brüder daselbst zugleich seyn werden
- bej[ahet,] daß sie sich auch sehr freuen.
- bejahet, daß sie immer gute Freunde und fleißigere Correspondenten als bisher seyn werden.
- bejahet: daß er sich gern condemniren lassen will künftig mehr zu schreiben
- bej[ahet,] daß er diesem Urthel getreulich nachkommen will.
- bejahet, daß er erwarte, daß Kläger seiner disfalls aufhabenden Obliegenheit gleichfalls getreulich nachkommen und
- bej[ahet,] sich dort gut [zu] divertiren,
- bej[ahet] jedoch auf Weihnachten nach Weißenfels kommen wird.
- bej[ahet,] daß er zuletzt gewiß hoft, daß Kläger sein Freund bleiben wird
- bejahet, daß er auch immer seyn wird sein Freund
Fridrich v. Hardenberg.
- bej[ahet,] daß er ihm bald mehr schreiben wird und heute nur solch unzusammenhängendes Zeug schrieb, weil die Briefe fort mußten.
exped[iert] den 16ten November.
Es meldet der Herr Postmeister Fränzel, daß er diesen Brief ad manus proprias insinuiren lassen.
So nachrichtlich.
Fridrich v. Hardenberg,
ad Act. jur.
(HKA IV, 146–148)
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