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        Karl von Hardenberg und Novalis an Friedrich Brachmann in Dobrilugk
 Datierung: Weißenfels, 15. September 1794
 Umfang: 1 Doppelblatt, 4 S. beschrieben
 Signatur: V5R
 
        
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 Weißenfels, d[en] 15ten Sept[ember] [17]94. [Sonntag]
 
        Lieber Freund.
        
        Unendlich angenehm war es mir, daß ich
        durch Ihren lieben Brief überzeugt wurde,
        daß Sie uns doch nicht ganz vergessen
        hatten, denn unter uns gesagt, schien mir
        es fast so, da mein Bruder und ich uns
        vergeblich gefreut hatten, in Ihrer
        Gesellschaft nach Hubertsburg zu reisen,
        und Erasmus dadurch noch mehr
        aufzumuntern; aber mit der Verzeihung ist
        es nun, wie es ist, so halb und halb und
        nur unter der Bedingung, daß Sie recht
        bald, das heißt so ohngefähr zu Michaelis
        wiederkommen, soll Ihnen ganz verziehen
        werden. Unsere Reise nach Hubertsburg war
        noch sehr angenehm, wir hielten uns
        nemlich nicht lange daselbst auf, sondern
        reisten über Torgau nach Wittenberg, wo
        wir uns 2 Tage sehr gut Divertirten, und
        statt uns die Antiquitaeten von Doctor
        Luther zu besehen, lieber die hübschen
        Mädchen musterten und experimental Physic
        über ihren Busen und Gliederbau lasen.
        Aber noch ein sonderliches Affentheuer
        stand uns noch bevor, wo wir unsern Freund
        Brachmann immer herzuzaubern wünschten:
        Wir waren eines Abends eben im Begriff,
        uns niederzulegen, als noch eine Kutsche
        mit Damen ankam, die in das Zimmer neben
        uns logiert wurden, und welches mit dem
        unsrigen eine Communication durch eine
        unverschlossne Thüre hatte. Früh den
        andern Tag als wir aufstanden, lag Friz
        noch in parvis naturalibus in der Stube im
        Bette, und Erasmus und ich standen mitten
        in der Stube mit Respect zu vermelden im
        Hemde, und sangen uns zum Morgenlied ein
        ça ira; Unsere Damens neben uns
        waren auch schon aufgestanden; plözlich
        gieng die communications Thüre auf und ein
        allerliebstes Mädchen im Reise Anzug
        prellte herein; Unendlich mogte es Ihr
        befremden sich plözlich in die
        Gesellschaft 3er Natur Menschen versezt zu
        sehen, denn so geschwind zog sie sich auch
        wieder zurük, und wir hörten ein lautes
        Gelächter aufschlagen; Nachher erfuhren
        wir durch den Wirth, daß es eine Comtesse
        Wartensleben aus Berlin gewesen war, die
        ins Lauchstedter Bad reisen wollte; Sie
        hatte sich erkundigt, wer denn diese 3
        ähnlichen Geschöpfe wären, und zugleich
        versichert, daß Sie uns nicht einzeln
        würde unterscheiden können. Von Wittenberg
        reisten wir nach Wörlitz, besahen uns
        daselbst den fürstlichen Garten, der ganz
        allerliebst ist, und reisten so wieder
        über Hubertsburg zurük.Aber noch viel vergnügter sind wir einige
        Tage hier gewesen; mein ältester Bruder
        ist iezt ganz und gar hier, und ich auf 2
        Monate, und Erasmus besuchte uns; den
        Jubel hätten Sie nur noch vermehren sollen
        und er wär vollkommen gewesen; wir haben
        getrunken, gesungen, getanzt und ––––
        sponsirt; und das lezte haben wir beide,
        Friz und ich, nicht aus den Augen
        gelassen, und kein Tag vergeht, wo nicht
        uns unsere Füße nicht zu hiesigen Schönen
        tragen. Aber Caroline fällt weg und  iezt
        heißt es Frizchen von L., aber nicht
        Lochau, Caroline Lochau ist sehr lange bey
        ihrer Schwester gewesen und gestern
        erstlich wiedergekommen. Nun, alter
        Freund, lebt wohl und kommt sobald wie
        möglich zu uns, denn wir haben uns viel zu
        erzählen; mein Bruder Friz läßt Sie,
        lieber Brachmann, herzlich grüßen, und
        vereinigt seine Bitte mit der meinigen;
        auf Michaelis rechnet darauf, euch zu
        sehen
 
        Ihr
        
        Sie liebender FreundKarl Hardenberg
 
        N.B.Ziegens, H. läßt sich empfelen.
 2.
 
        Kennst Du noch diese Pfote? Ich bin jezt
        hier, wie Dir vielleicht schon bekannt ist
        und lebe more modoque consueto. Wie oft
        seufze ich nach Dir und ich habe keine
        angenehmere Hoffnung, als Dich bald hier
        zu umarmen. Ich habe Deinen Vater sehr
        angelegen – und wer weiß welcher unglückliche
        Zufall uns zu Hülfe kommt. Des Morgens wird
        studirt und Nachmittags geschwärmt.
        
        Kurz, mein traulicher Freund, im fernen Lande der Wenden,Niemals verdirbt jemand mit frölichen Hertzen im Busen.
 Ueberall baut er sich Hütten und ladet die Pilger zum Schmaus ein –
 Tritt an den Weg und verfolgt mit Gesang die scheidenden Gäste
 Und erkundigt sich fleißig bey Fremden nach alten Bekannten
 Und ermahnt sie dieselben vom Wirth zum frölichen Herzen
 Ja zu grüßen und sie zur nächsten Messe zu laden,
 Daß sie bey ihm einkehren und froher Bewirthung gewiß seyn.
 Dobrilogs Wälder und Sumpf und unergründliches Sandmeer
 Locken mich oft, wenn ich Dein und alter Zeiten gedenke
 Doch entsteht mir der Wunsch, daß Du zu Thüringens Gränzens
 Und zu dem lachenden Thal und dem weißen Felsen zurückkehrst.
 Dort ist die Stimme der Nymphen nicht sanft und Schwandewit scheuchet
 Alle Freuden von dannen mit seinem schreckenden Graubart
 Und der mit Donnern bewaffneten Faust und dem blitzenden Auge.
 Aber Freya bewohnt hier freundliche Thäler und führet
 Ihre Geweihten oft heimlich zum Kreise reitzender Mädchen.
 
        Lebe wohl. Fridrich v. Hbg.
        
        (HKA IV, 141–143)
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