Novalis an den Buchhändler und Verleger Friedrich Severin in Weißenfels
Datierung: Weißenfels, 1789?
Umfang: 1 Blatt, 1 S. beschrieben
Signatur: V–2–R
An Friedrich Severin
Jüngst wolltest du von mir Gedichte,
Denn daß ich Reimte, wußtest du,
Da holt ich aus der trägen Ruh
Worinn sie schummerten, für dich der Muße Früchte
Und schicke, Freund, sie dir hier zu.
Durchfliege sie, doch nicht mit kritischen Gesichte
Das auch den kleinsten Mackel sieht
Und nachsichtsvoll nicht gern, dem Fehl vorüberflieht.
In unserm lieben deutschen Vaterlande
Ist nun die Mode einmal so,
Daß jeder Jüngling reimt, bald traurig und bald froh,
Bald schlummert an der Aganippe Rande,
Bald an Oceanes Strande
Von Wellen eingelullt, auch schrecklich tosend reimt,
Sich in die graue Vorzeit träumt,
Nur rauhe Bardenlieder singet
Und voll Begeistrung schäumt,
Und bald Cytheren Opfer bringet
Oft einen Faun für einen Amor nimmt
Und seine Leyer nur für trunkne Satyrs stimmt;
Doch Wieland wünscht mit Venus und den Musen
(Denn was sie rufen sind doch nur Empusen)
Recht sehr viel Schlaf den Dichterlingen
Und heilt nichts ihre Phrenesie
Die Kunst in sich hinein zu singen,
Und doch ein wenig mehr Genie;
Doch halt – gehör ich nicht auch mit zu dieser Zunft
Gut, gut, so wünsch ich mir ein wenig mehr Vernunft
So kann vielleicht einst mich ein Myrtenkranz umschlingen
Und mich berechtigen zur Musengunst
Dann soll dir mehr Gefühl als Kunst,
Noch eine bessere Epistel singen.
Jezt nimm vorlieb mit dem Vergißmeinnicht
Das meine schwache Hand dir am Parnassus bricht –
Wer ruft mich – Nimm den guten Willen, –
Leb wohl, – solidre Kost soll meinen Magen füllen –
Man rufet mich zu Tisch – ich wünsche gute Nacht –
(HKA IV, 75–76)
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