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Aquarium > Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert > Allgemeine Literatur-Zeitung: Rezension der »Novalis Schriften« (1803)


1803: Eine Rezension der »Novalis Schriften« in der A. L. Z.

Kurz nach Erscheinen der Novalis Schriften widmete ihnen die A. L. Z., der Novalis selbst skeptisch gegenüberstand (siehe Vermischte Bemerkungen Nr. 114), eine längere Rezension.

Allgemeine Literatur-Zeitung (1803)
Der ungenannte Rezensent nutzt seine Auseinandersetzung mit den Schriften, um allgemeine Überlegungen zur Mystik anzustellen, ein Thema, das später auch Thomas Carlyle interessieren wird (siehe dessen Novalis-Aufsatz aus dem Jahr 1829). Die Mystik sei die Voraussetzung für die »romantische Poesie«, und »Novalis Schriften haben einen grossen Werth, weil sie sehr geeignet sind, die Mystik kennen zu lehren, die ächte, die man nicht genug empfehlen, die unächte, vor der man nicht genug warnen kann.« (Sp. 569)

Wenn es dann konkret um Novalis' Werke geht, ist der Rezensent zunächst voll des Lobes: »In beiden Eigenschaften, als romantischer Dichter und als mystischer Philosoph, behauptet [...] Novalis [...] eine der ersten Stellen.« (Sp. 572) Die Hymnen an die Nacht etwa scheinen ihm »bewunderungswürdig, weil sie fast ganz inhaltslos sind und doch gefallen« (Sp. 577), und Novalis' Marien-Dichtungen verteidigt er gegen protestantische Einwände (vgl. Sp. 577).

Starke Bedenken äußert der Rezensent jedoch gegenüber den verstreuten Fragmenten im II. Band der Schriften. Es geht ihm nun darum, die »Falschheit der Principien des Novalis« zu beweisen (Sp. 581). Immerhin spricht er von den »Fehltritten eines wahrhaft grossen und edeln Geistes« (Sp. 583).

Die digitalisierte Rezension wird hier in zeitgenössischer Orthografie und – zwecks Zitierfähigkeit – unter Angabe der originalen Seitenumbrüche veröffentlicht. (f.f.)

*

Allgemeine Literatur-Zeitung vom Jahre 1803. Dritter Band: Julius, August, September. Leipzig und Jena 1803. Num. 259-261 (Sp. 569-588: 12.-14. September 1803).

[Spalte 569:]

Num. 259.

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Montags, den 12. September 1803.

SCHÖNE KÜNSTE.

Berlin, in der Buchh. der Realschule: Novalis Schriften. Herausgegeben von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck. Erster und zweyter Theil. 1802. 338. 552 S. 8. (3 Rthlr. 16 gr.)

»Es kann hier nicht unsere Absicht seyn,« – sagt Hr. Tieck in der Vorrede, »nachfolgende Werke zu empfehlen, oder zu beurtheilen, weil es wohl möglich seyn dürfte, dass jedes Urtheil, welches schon jetzt hervorträte, ein zu frühzeitiges und unreifes wäre: denn ein Geist von dieser Originalität muss erst begriffen, sein Wollen verstanden und seine liebevolle Absicht gefühlt und erwiedert seyn, so dass wir wohl erst, wenn seine Ideen andere Geister befruchtet, und neue Ideen erzeugt haben, aus dem geschichtlichen Zusammenhange sehen können, wo er selber stand, und wie er sich zu seinem Zeitalter verhielt.«

Rec., weit entfernt, sich des Fehlers der Uebereilung schuldig machen zu wollen, begnügt sich, aufrichtig aber anspruchlos anzuzeigen, in wie fern jene Werke ihm empfehlungswürdig scheinen und in wie fern nicht. Je mehr einzelne Stimmen aus dem Publicum sich über sie vernehmen lassen, desto mehr wird der Zeitpunkt beschleunigt, ein allgemein gültiges und geltendes Urtheil über sie auszusprechen, wozu er für seinen Theil sich weder fähig noch berufen fühlt.

Novalis Schriften haben einen grossen Werth, weil sie sehr geeignet sind, die Mystik kennen zu lehren, die ächte, die man nicht genug empfehlen, die unächte, vor der man nicht genug warnen kann. Um diess Urtheil zu begründen, wird es nöthig seyn, einige allgemeine Betrachtungen über die Mystik vorauszuschicken.

Ausser den Organen und Kräften, die uns das Universum vernehmlich und verständlich machen, so fern es sichtbar, hörbar, fühlbar ist, haben wir ein Organ für das Universum, so fern es unsinnlich ist. Die Wirksamkeit dieses Organs thut sich kund in der moralischen, religiösen, ästhetischen Stimmung. Alle Sprachen sind reich an Ausdrücken, die in menschlichen Handlungen etwas bezeichnen, das ganz verschieden ist von Lust und Schmerz, ganz unabhängig von der äussern Erfahrung, an Ausdrücken, die Jeder versteht und Niemand erklären kann. Eben so sprechen die, welche für das Schöne und Heilige empfänglich sind, von Stunden der Begeisterung und Andacht, in welchen ihre Seele von inniger Lebens- [Spalte 570:] fülle überfliesst, obgleich ihre Sinne verschlossen sind, und ihre Denkkraft ruht. Dass jenes Organ nicht angebildet, sondern angeboren sey, sieht man an Kindern, in welchen es früh anfängt, thätig zu werden.

Die nun, welche dieses Organ vorzugsweise üben, und dadurch Anschauungen von den nicht sinnlichen Seiten des Universums erlangen, oder zu erlangen vorgeben, nennt man Mystiker.

Herrschend war die Mystik zuerst im Morgenlande. Nach Europa, wo sie in frühern Zeiten nur einzelne Pfleger gefunden hatte, wurde sie durch das Christenthum verpflanzt. Eine der lieblichsten Früchte, welche sie hier trug, war die romantische Poesie. Vergleicht man den Ariosto, das Haupt der romantischen Dichter, mit dem Homer, dem Haupte der unromantischen: so findet man beide in nichts so sehr verschieden als in dem Wunderbaren, worin Homer Erscheinungen darstellt, die nur übernatürlich sind, Ariosto solche, die widernatürlich sind, und doch täuschen. Nämlich: Die Homerischen Griechen hatten von den unsinnlichen Seiten des Universums nur dunkle, in ihrer Mythologie nur hie und da schwach aufdämmernde Ahnungen; die Seele war nach den herrschenden Meynungen abhängig von dem Leibe, fristete zwar nach der Trennung von diesem ihr Daseyn, aber ein ärmliches, unnützes, elendes Daseyn. Ihre Götter waren sinnliche Wesen; ihre Propheten weissagten aus sinnlichen Wahrnehmungen; ihre ganze Religion gieng aus von sinnlichen Bedürfnissen, hin auf sinnliche Zwecke. Die Einbildungskraft Homers war also auf das Gebiet der äussern Erfahrung eingeschränkt; und diess ist die Ursache, warum man durch alle seine noch so wunderbaren Dichtungen eine historische oder physische Wahrheit durchschimmern sieht. Als nun aber unter dem Menschengeschlechte die zuerst im Morgenlande erschollene Sage sich verbreitete von der überirdischen Abkunft der Seele, von dem Leibe als einem Gefängnisse, worein sie zur Strafe eingekerkert wäre, von der Beschauung des unsichtbaren Gottes als einem Mittel, jenem Kerker zu entrinnen und uns wieder in das Lichtmeer seines Wesens zu versenken: da eröffnete sich auch für die Poesie eine neue Laufbahn.

Die mannigfaltigen Mythen von einem guten und bösen Urwesen, und von dem Kampfe derselben und die Herrschaft in der Natur, von Zauberern, denen die Elemente gehorchen, von Talismanen, welche gegen jegliches Ungemach schützen, von Propheten, die durch innere Erleuchtung die ferneste Zukunft erschauen, von Wunderthieren, die den Gesetzen der Zeit und des Raumes nicht gehorchend, in einem Augen- [Spalte 571:] blicke unermessliche Strecken zurücklegen – alle diese Mythen haben zur Quelle die Ueberzeugung von einer einfachen Wahrheit, dass die Seele vortrefflicher ist als der Leib, und unabhängig von demselben, dass das Geisterreich andere Gesetze anerkennt als das Naturreich, und dass dieses ohnmächtiger als jenes ihm gehorchen muss, eine Ueberzeugung, welche der Denkart des Mittelalters sich so tief einprägte, dass sie eine ganz neue menschliche Leidenschaft hervorbrachte, die empfindsame Liebe, welche nicht sich begnügend mit dem Genusse körperlicher Schönheit und Anmuth, nach dem Besitze des Gemüthes trachtete. Und eben in einer solchen Darstellung der Begebenheiten, nach welcher ungleichartige verschiedenen Welten angehörige Wesen zusammen oder einander entgegenwirken, besteht das Eigenthümliche der romantischen Poesie, die wir daher ohne Zweifel der Mystik allein verdanken.

Weniger wohlthätig, als auf die Kunst, wirkte sie auf die Wissenschaft. Der Mystiker, da er sich in seinen Ueberzeugungen bestimmen lässt nicht durch Räsonnement, welches er verschmäht, sondern durch Beschauung dessen, was der innere Sinn ihm offenbart, kann viel leichter in Irthum gerathen, und ist viel schwerer davon zurückzubringen, als die, welche sich durch Erfahrung und Beobachtung leiten lassen.

Die grosse Menge falscher und ungereimter Behauptungen, welche die Mystiker in Umlauf gebracht, der Aberglaube, den grössten Theils sie herbeygeführt hatten, machten, dass die edelsten Denker des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts ihnen abgeneigt wurden, um so mehr, da gerade im gedachten Zeitraume die der Mystik durchaus widerstrebende Geometrie sich hob, und auf die übrigen Wissenschaften, selbst auf die Künste einen solchen Einfluss gewann, dass man als unzulässig verwarf, was nicht der Demonstration und der Rechnung unterworfen werden konnte. Gewiss verdienen jene Männer den Dank der Nachwelt für die Bemühungen, die Seelen ihrer Zeitgenossen von so vielem Wuste zu reinigen und zu lichten; aber vielleicht giengen sie in ihrem edeln Bestreben zu weit. Mit der unächten Mystik rotteten sie die ächte aus, an die Stelle des Aberglaubens, der das Gemüth zerrüttet, trat der Unglaube, der es verödet und entgeistert. Man denke an jenen grossen König, der zur Erholung von den Geschäften des Krieges und des Friedens zu Hause und im Felde nichts lieber that, als das Heilige verspotten, und frage sich, was er denn zuletzt gewann durch sein unaufhörliches und übermässiges Lachen. Gewiss! des besten, des noch so reich begabten Menschen inneres Leben stockt, sobald der Glaube verschwindet an das Unsichtbare und die Hoffnung auf das Unendliche.

Zeit war es, der herrschenden Denkart eine andere Richtung zu geben. Diess Verdienst gebührt Kant. Durch Entdeckung und Nachweisung drey verschiedener Quellen der Ueberzeugung, der Demonstration für Gegenstände der äussern, des Bewusstseyns und des Glaubens für Gegenstände der innern Erfahrung, schlug er die eiteln Ansprüche der Metaphysi- [Spalte 572:] ker und Mystiker nieder; der Metaphysiker, welche zum Gegenstande des Wissens machen wollten, was sich nur glauben, der Mystiker, die zum Gegenstande des Glaubens machen wollten, was sich wissen lässt. Die nüchternsten Denker verstatten nunmehr auch in der Philosophie dem Gefühle sein Ansehen. Man fieng an, das so lange vernachlässigte Organ für die unsinnlichen Seiten des Universums zu üben. Was jene Uebung in der Poesie wirkte, sehen wir unter andern an Schillers romantischer Jungfrau, was in der Philosophie, an eines Ungenannten Reden über die Religion. In beiden Eigenschaften, als romantischer Dichter und als mystischer Philosoph, behauptet der bereits verewigte Verfasser vorliegender Schriften, welcher unter dem Namen Novalis auftritt, eine der ersten Stellen.

Die ausgezeichneten Talente dieses Mannes und seiner Freunde; die Herrschbegierde, welche diese begeistert, die Gewalt, die sie über die Herzen so vieler Jünglinge ausüben – diess alles macht es wahrscheinlich, dass die Denkart des Zeitalters mit merklichem Uebergewichte sich zur Mystik hinneigen werde. Ob zur ächten oder unächten – das geziemt uns nicht ruhig abzuwarten, sondern, so viel an uns liegt, entscheiden zu helfen. Noch schwankt die Wage, noch lässt der Ausschlag sich bestimmen; und darum ist gerade jetzt über diese Angelegenheit zu sprechen, jeder, der darüber gedacht hat, berechtigt und verpflichtet, wenn er sich nur frey fühlt von jeglicher Leidenschaftlichkeit, und sich bewusst ist des Eifers für die Vervollkommnung und Verschonung des innern Menschenlebens. – Vielleicht wäre hier der Ort, die Kennzeichen der ächten und unächten Mystik anzugeben; allein des Rec. Meynung hierüber wird sich aus der Beurtheilung vorliegender Schriften selbst ergeben, mit denen wir uns nun beschäftigen wollen.

Betrachten wir den Vf. zuerst als Dichter. Als solchen zeigt er sich in einem unvollendet gebliebenen Roman Heinrich von Ofterdingen, welcher den ersten Band und einige Bogen des zweyten einnimmt. Der Held dieses Romans hat mit dem bekannten Minnesänger nicht viel mehr gemein als den Namen, soll jedoch an diesen und seine Zeit erinnern.

Der Inhalt des Romans ist die Geschichte des innerlichen Lebens eines Dichters von dem Augenblicke an, wo er sich ahnet und sucht, bis zu dem Augenblicke, wo er sich findet und versteht. Wir lernen ihn zuerst kennen, träumend von einer wunderbaren blauen Blume, die eine innige aber unbestimmte Liebe und Sehnsucht in ihm erweckt. Seine Mutter, um ihn zu heilen von der Schwermuth, worein er versinkt, unternimmt mit ihm eine Reise von Thüringen, seiner Heimath, nach Augsburg, der ihrigen. Fast auf jedem Schritte dieser Wanderung gelangt Ofterdingen zu einem hellern und tieferen Bewusstseyn seines poetischen Selbst. Hierzu tragen bey Reisegefährten durch romantische Erzählungen von der Gewalt, welche in vergangenen Zeiten und verschwundenen Ländern die Dichtkunst über die Natur und die Herzen der Menschen ausgeübt. Wunderbar hiedurch be- [Spalte 573:] troffen langt Ofterdingen mit seiner Gesellschaft auf einem Bergschlosse an. Hier hört er die Ritter sprechen vom heiligen Lande, von den Wundern des heiligen Grabes, von den Abentheuern ihres Zuges und ihrer Seefahrten, von den Sarazenen, in deren Gewalt einige gerathen waren, von dem fröhlichen und wilden Leben im Felde und im Lager. Er hört den Kreuzgesang singen, der so schliesst:

Hinüber zu der heilgen Stätte!
Des Grabes dumpfe Stimme tönt!
Bald wird mit Sieg und mit Gebete
Die Schuld der Christenheit versöhnt!
Das Reich der Heiden wird sich enden,
Ist erst das Grab in unsern Händen.

Die kriegerische Begeisterung, worein den Jüngling dieses Lied versetzt, macht bald einer ganz entgegengesetzten Empfindung Raum, da er auf einem einsamen Abendspatziergange von einem Sarazenischen Mädchen, das als Gefangene auf dem Schlosse lebt, ein Lied singen hört, von welchem wir folgende unnachahmlich schöne Strophen mittheilen:

Könnt' ich dir die Myrthen zeigen,
Und der Zeder dunkles Haar!
Führen dich zum frohen Reigen
Der geschwisterlichen Schaar!
Sähst du im gestickten Kleide
Stolz im köstlichen Geschmeide
Deine Freundin, wie sie war.

Edle Jünglinge verneigen
Sich mit heissem Blick vor ihr,
Zärtliche Gesänge steigen
Mit dem Abendstern zu mir.
Dem Geliebten darf man trauen,
Ewge Lieb' und Treu den Frauen
Ist der Männer Losung hier.

Hier wo um krystallne Quellen
Liebend sich der Himmel legt,
Und mit heissen Balsamwellen
Um den Hain zusammenschlägt,
Der in seinen Lustgebieten
Unter Früchten unter Blüten
Tausend bunte Sänger hegt.

Diese Sarazenin, mit welcher Ofterdingen sich unterredet, schildert ihm den Edelmuth ihrer Landsleute, ihre reine starke Empfänglichkeit für die Poesie des Lebens. Sie beschreibt ihm die romantischen Schönheiten der fruchtbaren »arabischen Gegenden, die wie glückliche Inseln in unwegsamen Sandwüsteneyen lägen, wie Zufluchtsstätte der Bedrängten und Ruhebedürftigen, wie Kolonien des Paradieses voll frischer Quellen, die über dichten Rasen und funkelnde Steine durch alte ehrwürdige Haine rieselten, voll bunter Vögel mit melodischen Kehlen, und anziehend durch mannigfaltige Ueberbleibsel ehemaliger denkwürdiger Zeiten.«

[Spalte 574:]

Hiedurch erweckt sie in Ofterdingen eine starke Sehnsucht nach dem Morgenlande als der Heimath der Poesie.

Nachsinnend, wie verworren und vielgestaltet das menschliche Leben sey, trifft Ofterdingen auf seiner fernern Reise mit einem Bergmanne zusammen. Durch Erzählungen von seinen unterirdischen Wanderschaften, von den Schätzen, welche die Erde in ihrem Schoosse verbirgt, von den wunderbaren Kräften, die sich in der Tiefe der Schachten regen, gewährt dieser ihm ganz neue Ansichten von der Natur, und erweitert für ihn das Reich derselben über die Gränzen der Sinnlichkeit. Er steigt mit dem Bergmanne in eine Höhle, wo er einen Einsiedler, den Grafen Friedrich von Hohenzollern antrifft, der sein abgeschiedenes Leben der Betrachtung menschlicher Schicksale weiht, und Ofterdingen Aufschlüsse über die Geschichte giebt. Mit vielen Erfahrungen bereichert langt dieser endlich in Augsburg bey seinem Grossvater an. Die Unterredungen mit dessen Freunde dem Dichter Klingsohr, und die Liebe zu Mathilden seiner Tochter enden Ofterdingens Jugend, und lehren ihn, sich und seine Bestimmung verstehen. So endet der erste Theil dieses Romans, die Erwartung. Von dem zweyten Theile der Erfüllung hat der Vf. nur wenige Fragmente hinterlassen. Hr. Tieck verdient den Dank des Publicums, dass er aus den Papieren und den Erinnerungen an die Gespräche seines verewigten Freundes alles mitgetheilt hat, was dienen kann, dem Leser einen Begriff von dem Plane des zweyten Theils zu geben. Dieser war: Nach Mathildens Verluste stürzt Ofterdingen sich in das Getümmel der Welt, und nachdem er hier alles, was er im ersten Theile der Geschichten kennen lernte, selber erfahren hat, Natur, Krieg, Morgenland, Alterthum, Ritterschaft, die verschiedensten Nationen und Stände und die abwechselndsten Schicksale, wird seine Einweihung in die innersten Geheimnisse der Poesie vollendet. Mit Mathilden, die er fälschlich für todt gehalten, und die er in der Gestalt der blauen Blume wieder findet, und in welcher er zugleich die Sarazenin erkennt, besteigt er durch die Zauberkraft der Poesie den Thron der Welt, zerstört das Sonnenreich, und führt ein neues goldenes Alter herbey, in welchem Steine, Pflanzen, Thiere, Menschen als eine grosse Familie in seliger Eintracht mit einander leben. Das Ganze sollte sich auflösen in eine Allegorie, bestimmt, zu zeigen, dass die Kraft, die den Menschen der Poesie fähig macht, die Urkraft sey, welche die ganze Natur überwinden kann.

Gewiss ist es, dass dieser Roman, wäre er vollendet worden, durch seine kühne Originalität Epoche in der Geschichte der Poesie gemacht hätte. Aber auch unvollendet wie er ist, behauptet er unter den romantischen Dichtungen einen hohen Rang.

Die völlige Umwandlung der Natur, das Hineinspielen der Träume in die Handlung, das Erscheinen derselben Personen unter verschiedenen Gestalten, die Entdeckungen, die Ofterdingen macht, da er in der Höle des Einsiedlers in einem alten Buche sein eige- [Spalte 575:] nes Bildniss sieht, da er in Klingsohr den König von Atlantis erkennt, von welchem ihm als aus einer alten fast verschollenen Sage, seine Reisegefährten erzählt hatten; die Vermenschlichung der Pflanzen, Steine und Thiere; der vaterländische Sinn, die Andacht und das zarte moralische Gefühl, wodurch das Ganze beseelt wird – diess alles giebt dieser Dichtung durch Verbindung des Feyerlichen mit dem Anmuthigen, des Erhabenen mit dem Lieblichen, des Befremdenden mit dem Befreundeten einen unsäglichen Reiz. Den ersten Theil könnte man vielleicht am besten charakterisiren, wenn man sagte, es sey von der ersten Stanze in Göthens Zueignung eine freye und genialische Uebersetzung oder vielmehr Umbildung in einen Roman. Jene Stanze lautet:

Der Morgen kam, es scheuchten seine Tritte
Den leisen Schlaf, der mich gelind' umfieng,
Dass ich erwacht aus meiner stillen Hütte
Den Berg hinauf mit frischer Seele gieng.
Ich freute mich bey einem jeden Schritte
Der neuen Blume, die voll Tropfen hieng.
Der junge Tag erhob sich mit Entzücken
Und alles war erquickt, mich zu erquicken.

Das allegorische Mährchen des Klingsohr, welches wie dem Rec. vielen Lesern dunkel bleiben wird, hätte wahrscheinlich sein Licht erhalten durch Vollendung des zweyten Theils, dessen Grundriss es enthält.

(Die Fortsetzung folgt.)

*

[Spalte 577:]

Num. 260.

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Dienstags, den 13. September 1803.

SCHÖNE KÜNSTE.

Berlin, in d. Buchh. d. Realschule: Novalis Schriften. Herausgegeben von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck. Erster und Zweyter Theil etc.

(Fortsetzung der im vorigen Stück abgebrochenen Recension.)

Im zweyten Theile S. 79-108 folgen Hymnen an die Nacht, hier wieder abgedruckt aus dem Athenaeum. Mit diesen war nach einer Bemerkung des Hn. Tieck der Vf. in Ansehung der Ausführung am meisten von allen seinen Arbeiten zufrieden. Rec. scheinen sie bewunderungswürdig, weil sie fast ganz inhaltslos sind und doch gefallen. Der einfache Gedanke, dass, wenn die äussern Sinne sich schliessen, der innere mit desto grösserer Stärke erwacht und dem Menschen eine Welt enthüllet, herrlicher als die sichtbare, das ist der Stoff dieser Hymnen dargestellt unter Bildern, deren eines immer lieblicher ist als das andere. Christus, als Stifter einer unsinnlichen Religion des Herzens, wird von dem Dichter gepriesen als der, welcher das Reich des lichten Tages gestürzt und die viel wohlthätigere Herrschaft der Nacht gegründet. Diess ist der Inhalt der beiden letzten Hymnen; und in gleichem Sinne sind die geistlichen Lieder (S. 123-158) gedichtet. Wer sie von dieser Seite fasst, wird sie nicht ohne Erbauung lesen. Einige ergreifen mit solcher Gewalt das Herz, dass, wenn, wie Johannes Müller an einigen Beyspielen wirklich zeigt, die ersten Verkündiger des Christenthums von solchen Gesinnungen beseelt waren, man die schnelle Verbreitung desselben unter den Barbaren leicht und natürlich erklären kann, ohne Zuflucht zu nehmen zu den Hypothesen des herzlosen Gibbon. Dass der Vf. einige Mythen der römischen Kirche, namentlich den von der Maria in seine Dichtungen aufgenommen, werfen ihm mehrere unter uns bitter vor, und doch ist wohl nie einem noch so orthodoxen Protestanten eingefallen, einen Maler unter seinen Glaubensgenossen zu verunglimpfen, wenn er sein Talent verherrlichte durch Darstellung einer Madonna; einen Freund der Malerey zu schmähen, wenn er bekannte, dass er ein solches Götterbild mit Verehrung, Andacht und Liebe anschauete. Woher denn dieser seltsame Widerspruch? Warum der Poesie versagen, was man den übrigen Künsten verstattet? Fort mit diesem unreinen Eifer, dass er nicht das Gebiet der Kunst entweihe, und das Genie verwirre und verzagt mache. Die vermischten Gedichte (S. 109-122) zeigen [Spalte 578:] des Novalis Genie nur von Seiten, die wir entweder schon berührt haben, oder noch berühren werden, daher übergehen wir sie, um Bemerkungen über des Vfs. Philosophie zu machen. Diese ist enthalten in den Lehrlingen zu Sais (Th. II. S. 159-246) und in den Fragmenten vermischten Inhalts (Th. II. S. 249-552.)

Indem wir im Begriffe sind, den mystischen Novalis als Philosophen zu beurtheilen, fürchten wir, mehreren unserer Leser Aergerniss zu geben. Denn obgleich das Wort mystisch ganz unschuldig ist, nichts bedeutet als geheimnissvoll, und zur Bezeichnung gewisser Ideen, Gefühle und Gesinnungen nur insofern gebraucht wird, als diese sich nicht bestimmt mittheilen, sondern nur andeuten lassen: so ist doch dieses Wort Vielen so verhasst, dass sie damit Begriffe verbinden, die aller Philosophie widerstreben. Gleichwohl scheint es Rec., dass jeder wahrhafte Philosoph Mystiker gewesen ist und seyn muss. Nämlich: Eine der allerwichtigsten Ideen in der Philosophie ist die von der Freyheit des Willens sowohl an sich, als auch wegen ihrer Verbindung mit den Ideen von Gottheit und Unsterblichkeit. Ohne die Realität jener Idee wäre menschliches Daseyn ohne Zweck, menschliches Leben ohne Pflicht, menschliches Herz ohne Güte, daher ist jene Idee dem Philosophen über alles theuer und werth, und an nichts liegt ihm mehr, als sie in sich stets lebendig und herrschend zu erhalten. Gleichwohl kann sie dem Raisonnement nicht unterworfen werden; die Ueberzeugung von ihrer Realität lässt durch Demonstration sich weder schwächen, noch verstärken; sie ist ein unmittelbares Factum des Bewusstseyns; nur der innere Sinn kann sie fassen; nur die Beschauung kann sie unterhalten. Diese Beschauung aber, da sie sich mit keinem sinnlichen Bilde, mit keinem bestimmten Begriffe beschäftigt, da sie über alles Wahrnehmbare und Begreifliche hinausgeht, ist ein durchaus mystischer Zustand. Die blosse Meditation also, welche Erfahrungsbegriffe entwickelt oder verknüpft, dadurch, dass sie das Besondere auf das Allgemeine als auf seine Ursache oder Wirkung zurückführt – diese Meditation, obgleich eine der edelsten Beschäftigungen des Philosophen – kann ihm nicht genügen, er wird oft das Bedürfniss empfinden, sie durch Contemplation zu unterbrechen, d. h. mystisch zu werden. Hierauf deutet Göthe, wenn er den Faust beten lässt:

Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt,
Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste
Und Nachbarstämme, quetschend, niederstreift,
[Spalte 579:]
Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert:
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mir dann mich selbst, und meiner eignen Brust
Geheime, tiefe Wunder öffnen sich.

– Wie herrliche Früchte solche philosophische Selbstbeschauungen tragen, sehen wir an den Mythen des Plato. Man denke an die von der Liebe im Phädrus und im Gastmahle! Wer kann sie lesen, ohne inne zu werden, dass eine Seele in ihm lebt, die alle Verwandtschaft mit dem Staube verschmäht und der Verwesung entrinnen wird; ohne inne zu werden, dass die unsinnliche Seite des Universums die schönste und reichste ist; wer kann sie lesen, ohne, befreyet von der Schwere des Leibes, aufzutauchen über den irdischen Raum und schon hienieden sich, wenigstens für Augenblicke, selig zu fühlen und unsterblich! Auch vom Sokrates erzählet man, dass er einst einen ganzen Tag und eine ganze Nacht in Beschauung versunken war, bis er endlich bey'm Aufgange der Sonne das überströmende Gefühl in ein kurzes Gebet gegen diese ergoss. Unser Garve (ein feiner Denker, aber nicht ein tiefer Sinner, vortrefflich in der Meditation, aber nicht gemacht für die Contemplation) bekennet, dass er hievon keine Vorstellung habe. Aber auch Er hätte jene Erzählung wahrscheinlich nicht in Zweifel gezogen, wenn er gekannt, was Fenelon in seinem Werke sur la vie interieure von ähnlichen Entzückungen sagt. Alles was wir von dem unsträflichen Wandel dieses gottseligen Mannes wissen, ist uns Bürge, dass er der Verstellung nicht fähig war, dass also der regard simple et amoureux, mit welchem Ausdrucke er die Beschauung des unsichtbaren Gottes, der er sich täglich eine halbe Stunde ergab, bezeichnet, bey ihm etwas reelles war.

Und um noch einen Namen zu nennen, den Namen eines der besonnensten und nüchternsten Denker – Kant sagt diese merkwürdigen Worte: »Die Natur in ihren schönen Formen spricht figürlich zu uns, und die Auslegungsgabe ihrer Chiffernschrift ist uns im moralischen Gefühle verliehen. – Schon der blosse Reiz in Farben und Tönen nimmt gleichsam eine Sprache an, die einen höhern Sinn zu enthalten scheint, und die Natur näher zu uns führt.« (Krit. der Urth. S. 170. 172. Hier citirt nach Jacobi, welcher in dem Motto zu Allwills Briefsammlung Kants zerstreute Worte ihrem Sinne gemäss verbunden hat.)

– Diess alles zum Beweise, dass die Mystik an sich der Philosophie keineswegs widerstrebe. Gewiss! die Beschauung, wenn sie zur Quelle hat moralisches Bedürfniss, zum steten Aufseher das Gewissen, zum einzigen Zwecke, nicht die Meditation zu ersetzen sondern zu ergänzen, ist des Philosophen im höchsten Grade würdig. Aber freylich (man merke was hinzugesetzt wird) aber freylich, wenn sie von irgend einer Leidenschaft ausgeht, wenn sie frech sich in das Gebiet des Denkens drängt, so, dass das Herz sprechen will, wo der Verstand zu reden hat: dann [Spalte 580:] ist sie das Vollmaass der Täuschung (le comble de l'illusion.)

Nichts so ungereimtes giebt es, was solche Beschauer nicht als wahr, nichts so frevelhaftes und abscheuliches, was sie nicht als gut priesen. Richtig also Johannes Müller: »Nirgendwo anders als in der Mystik ist der grosse Geist so nahe wohnhaft bey Bedlam«; und, setzen wir hinzu, der Heilige so nahe der Sünde.

Jetzt von diesem Allen die Anwendung auf Novalis.

Die Principien seiner Philosophie enthalten folgende Verse:

Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren
Sind Schlüssel aller Creaturen,
Wenn die, so singen oder küssen,
Mehr als die tiefgelehrten wissen,
Wenn sich die Welt ins freye Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wieder Licht und Schatten
Zu ächter Klarheit werden gatten,
Und man in Mährchen und Gedichten
Erkennt die ewgen Weltgeschichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Das ganze verkehrte Wesen fort.

Diese Verse erklären, was Hr. Tieck S. 50 sagt, seines Freundes Absicht sey gewesen, nach Vollendung des Ofterdingen noch sechs Romane (!) zu schreiben, in denen er seine Ansichten der Physik, des bürgerlichen Lebens, der Handlung, der Geschichte, der Politik und der Liebe, so wie im Ofterdingen der Poesie niederlegen wollte.

In gleichen Sinne heisst es S. 193:

Wer zur Kenntniss der Natur gelangen will, übe seinen sittlichen Sinn, handle und bilde dem edeln Kerne seines Innern gemäss, und wie von selbst wird die Natur sich vor ihm öffnen. Sittliches Handeln ist jener grosse und einzige Versuch, in welchem alle Räthsel der mannichfaltigsten Erscheinungen sich lösen. Wer ihn versteht und in strengen Gedankenfolgen ihn zu zerlegen weis, ist ewiger Meister der Natur.

S. 233. 234.

Wie seltsam, dass gerade die heiligsten und reizendsten Erscheinungen der Natur in den Händen so todter Menschen sind, als die Scheidekünstler zu seyn pflegen; sie, die den schöpferischen Sinn der Natur mit Macht erwecken, nur ein Geheimniss der Liebenden, Mysterien der höhern Menschheit seyn sollten, werden mit Schaamlosigkeit und sinnlos von rohen Geistern hervorgerufen, die nie wissen werden, welche Wunder ihre Gläser umschliessen. Nur Dichter sollten mit dem Flüssigen umgehn, und von ihm der glühenden Jugend erzählen dürfen.

Ganz übereinstimmend hiemit sagt Ofterdingen Th. I. S. 45.

Ich weiss nicht, aber mich dünkt, ich sähe zwey Wege, um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine mühsam und unab- [Spalte 581:] sehlich, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere fast Ein Sprung, der Weg der innern Betrachtung.

Diese Grundsätze, nach welchen der innere Sinn einziger Quell der Wahrheit und Erkenntniss ist, nach welchen die Beschauung das Denken und Beobachten ganz entbehrlich macht, und das Herz den Verstand meistern und beherrschen soll – diese Grundsätze sind keineswegs neu. Fenelon in dem erwähnten Werke führt sie als verwerflich an. S. 101 daselbst heisst es:

Die Meditation ist nichts als ein unfruchtbares und trocknes Studium; das Räsonnement (les actes discursifs et reflechis) ist nichts als eine eitle Arbeit, welche die Seele ermüdet ohne sie zu nähren. Auf diesem Wege macht man nie Fortschritte. Man muss eilen, die guten Seelen davon abzubringen, um sie zur Beschauung zu führen, wo das Räsonnement nicht an seiner Stelle ist, (ou les actes ne sont pas de saison.) So reden, setzt Fenelon hinzu, heisst, die Seelen von der Gabe Gottes abwendig, heisst die Grundlage des menschlichen Lebens verächtlich machen, heisst nehmen wollen, was Gott giebt; und wollen, dass man frecher Weise auf das rechne, was ihm vielleicht nicht gefällt zu geben, heisst, das Kind von der Brust der Mutter reissen, noch ehe es starke Nahrung vertragen kann.

– Die Falschheit der Principien des Novalis wird folgende Betrachtung anschaulich machen.

So unmöglich es ist, mit dem Auge zu hören, und mit dem Ohre zu sehen: so unmöglich ist es, mit dem innern Sinne Gegenstände der äussern Erfahrung aufzufassen. Mit eben dem Rechte, mit welchem der Mystiker die Gegenstände der Meditation den Aussprüchen des Herzens unterwirft, kann der Materialist die Gegenstände der Contemplation den Aussprüchen des äussern Sinnes unterwerfen.

Wie also, wenn Jemand (und die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo dieses geschehn wird, wir müssen auf alles gefasst seyn) mit einer transcendentalen Osmatik aufträte, mit einer Theorie, das Universum vermittelst des Geruches aufzufassen; wenn er weiter faselte, die einzigen Sitze ächter und untrüglicher Metaphysik wären die englischen Manufakturstädte, als woselbst die mannichfaltigsten Düfte von allen Weltgegenden zusammenweheten; daher Niemand Philosophie weder lehren noch lernen könne, der nicht wenigstens Manchester in Nasenschein genommen; wenn kühn gemacht durch dieses Beyspiel (denn die Frechheit imponirt, an Anhängern und Nachfolgern würde es einem solchen nicht fehlen) ein anderer uns den Gaumen, oder den Magen, oder ein anderes Organ, als die einzige Quelle aller Erkenntniss, als das einzige grosse Thor der Weisheit priese! Was würde denn aus der Verbreitung solcher Lehre folgen? Folgen würde, dass wir alle vor Aberwitz den gesunden Verstand verlören, und vor lauter Weisheit rasend würden, dass wir alle in einen allgemeinen Wahnsinn verfielen, gegen den kein [Spalte 582:] Heil und keine Rettung wäre; denn wenn der Wahnsinn epidemisch wird: so heisst er Vernunft! sagt Jacobi. Jacobi sagt's! Hört! Hört!

Uebrigens erklärt sich aus dem bisher gesagten hinreichend, warum eben der Novalis, der an manchen Stellen seiner Schriften das Höchste erreicht, wohin unsere Empfindungen, Gedanken und Ahnungen uns tragen, an andern Stellen tief unter das Gemeine herabsinkt. Hier einige Beyspiele.

S. 338 heisst es:

Die Flamme ist thierischer Natur. Es giebt vier Arten von Flammen 1) diejenigen, deren Excremente die unorganischen Naturen sind; 2) deren Excremente Pflanzen; 3) deren Excremente Thiere; 4) deren Excremente Menschen sind.

Also die Flamme ist thierischer Natur, und das Thier ist ein Excrement der Flamme. Was ist nun das Thier und was ist die Flamme?

Nicht wahr Leser?

Das ist ein Fall, wo man bey'm Denken nichts gewinnt,
Man wird nur tiefer dumm, je tiefer dass man sinnt

Mephistopheles im Faust macht die Bemerkung:

Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,
Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.

– Ob Jemand auch bey folgenden Worten sich etwas denken kann? S. 357:

Die Betrachtung der Welt fängt im unendlichen absoluten Discant, im Mittelpunkt an, und steigt die Scala herunter; die Betrachtung unserer selbst fängt mit dem unendlichen absoluten Bass an, der Peripherie, und steigt die Scala aufwärts. Absolute Vereinigung des Basses und Discantes – das ist die Systole und Diastole des göttlichen Lebens.

Und S. 299-300:

Unser ganzer Körper ist schlechterdings fähig vom Geiste in beliebige Bewegung gesetzt zu werden. Die Wirkungen der Furcht, des Schreckens, der Traurigkeit, des Neides, des Zorns, der Schaam, der Freude, der Phantasie sind Indicationen genug. Ueberdem hat man genugsam Beyspiele von Menschen, die eine willkürliche Herrschaft über einzelne gewöhnlich der Willkür entzogene Theile ihres Körpers erlangt haben. Dann wird jeder sein eigner Arzt seyn, und sich ein vollständiges sicheres und genaues Gefühl seines Körpers erwerben können; dann wird der Mensch erst wahrhaft unabhängig von der Natur, vielleicht im Stande sogar seyn, verlorne Glieder zu restauriren, sich bloss durch seinen Willen zu tödten, und dadurch erst wahre Aufschlüsse über Körper, Seele, Welt, Tod und Geisterwelt erlangen. Es wird vielleicht dann nur von ihm abhängen, einen Stoff zu beseelen; er wird seine Sinne zwingen, ihm die Gestalt zu produciren, die er verlangt, und im eigentlichsten Verstande in seiner Welt leben können. Dann wird er vermögend seyn, sich von seinem Körper zu trennen, wenn er es für gut findet, er wird sehen, hören und fühlen, was und in welcher Verbindung er will.

[Spalte 583:]

Fällt Einem hier nicht ein der Pater Brey bey Göthe, von welchem Ballandrino sagt.

Bild't sich ein wunderliche Streich'
Von seinem himmlisch geistigen Reich!

S. 493 heisst es:

Die christliche Religion ist die eigentliche Religion der Wollust. Die Sünde ist der grösste Reiz für die Liebe der Gottheit; je sündiger sich der Mensch fühlt, desto christlicher ist er. Unbedingte Vereinigung mit der Gottheit ist der Zweck (!) der Sünde und Liebe.

Gnade ihr Götter den Frommen; dem Frevelnden solche Zerrüttung!

Doch, um uns nicht dem Verdachte der Schadenfreunde auszusetzen, enden wir hiemit die Auszüge solcher und ähnlicher Stellen. Auf die Verirrungen des Novalis und die Quelle derselben aufmerksam zu machen, schien uns Pflicht, aber ferne sey es, in das pöbelhafte Gelächter einzustimmen, das sich über ihn hie und da so vorlaut vernehmen lässt. Bey den Fehltritten eines wahrhaft grossen und edeln Geistes mit Vergnügen zu verweilen, wollen wir solchen Bedaurungswürdigen überlassen, von welchen es scheint, sie können ihrer eignen Vorzüge sich nicht bewusst werden, als indem sie ihren Blick auf das Untugendliche in Andern richten.

Belohnender und anziehender ist das Geschäft, einen solchen Geist in seinen glücklichen Augenblicken zu belauschen, und den geheimen Sinn seiner Worte zu erforschen.

Und hier sey dem Rec. zuerst erlaubt anzumerken, dass der oben angeführte Grundsatz des Novalis, der innere Sinn, das Herz sey die Quelle aller Wissenschaft, in dem Umfange zwar, in welchem er ihn behauptet, falsch ist, gleichwohl aber eine grosse, leider! zu sehr verkannte Wahrheit in sich schliesst. »Man kann, sagt Kant, vor jedem Irthume gesichert bleiben, wenn man sich nicht unterfängt, da zu urtheilen, wo nicht so viele Gründe vorhanden sind, als zu einem bestimmenden Urtheile erfodert werden.« Woher aber weiss man denn, wenn diese Gründe vorhanden sind? – Hierüber kann allein das Gewissen belehren, welches daher in dieser Rücksicht allerdings die einzige Quelle zwar nicht der Erkenntniss ihrem Stoffe nach, aber doch der Gewissheit in der Erkenntniss ist. Wahr ist für jeden Menschen das, wovon er sich bewusst ist, es sey das Resultat von Forschungen oder Betrachtungen, die er mit möglichster Gewissenhaftigkeit angestellt. Wie viel besser würde es um die Wissenschaften und namentlich um die Philosophie stehn, wären die Leh- [Spalte 584:] rer und Pfleger derselben gewissenhaftere Männer, schärften und verfeinerten sie ihren moralischen Sinn, sofern er die Uebereilung im Urtheilen und die Anhänglichkeit an Meynungen verhütet, da, wo das Bewusstseyn hinreichender Gründe fehlt, thäten sie diess nach dem edeln Beyspiele des Sokrates, der von sich rühmt, seine Weisheit bestehe nur in der Freyheit vom Irthume, sein einziges Geschäft sey, sich und Andere unablässig auszuforschen, ob sie etwa Meynungen und Gesinnungen Beyfall gäben, ohne bestimmt zu wissen, warum.

(Der Beschluss folgt.)

*

[Spalte 585:]

Num. 261.

ALLGEMEINE LITERATUR-ZEITUNG

Mittwochs, den 14. September 1803.

SCHÖNE KÜNSTE.

Berlin, in der Buchh. d. Realschule: Novalis Schriften. Herausgegeben von Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck etc.

(Beschluss der im vorigen Stück abgebrochenen Recension.)

Höchst vortrefflich spricht Novalis ferner an allen den Stellen, wo er zur Sammlung des Gemüths, zur Ruhe, zur stillen Selbstbeschauung ermahnet; denn das ist wahr. Die unglückselige Polypragmosyne, worin so viele ihre Thätigkeit erschöpfen, die Zerstreuung, worin sie ihre Erholung suchen – betrügt uns um unsere edelsten Gefühle. Und solche in dem Strudel der Welt verschlungene Menschen sind es dann, die einem frech in's Angesicht lachen, wenn man spricht von dem Allerheiligsten der menschlichen Seele, von der Macht des Willens, von der Würde der Kunst, von dem rein-Schönen und rein-Guten, und von dem uneigennützigen Wohlgefallen an demselben.

Wärest du, o Gott, betet der fromme Fenelon, ein Wesen, plump, vergänglich und unbeseelt, eine Masse ohne Tugend, ein nichtiger Schatten: dann würde deine eitle Natur ihre Eitelkeit beschäftigen, du wärest ein ihren niedrigen und thierischen Gedanken angemessener Gegenstand. Aber weil du zu tief in ihrem Innern wohnest, wohin sie nie kommen, bist du ihnen ein verborgener Gott. In der Verwirrung, worin sie sind, ist ihr Inwendiges am fernesten von ihrem Blicke.

Uebrigens gereicht es in des Rec. Augen dem Novalis zur grossen Empfehlung, dass mehrere seiner vornehmsten Behauptungen, die er am öftersten wiederholt, obgleich er sie gewiss nicht entlehnt, sondern unverkennbar aus dem Innersten seines Geistes geschöpft hat, ihm nicht eigenthümlich sind, sondern mit andern Mystikern gemein, namentlich mit dem edeln Hemsterhuis, von welchem es befremdet, ihn jetzt fast gar nicht genannt zu hören, so dass man wohl auf ihn anwenden kann, was Lessing sagt: einige Leute sind berühmt und andere sollten es seyn.

Den Satz des Novalis, dass der Mensch nur in der poetischen Stimmung Wahrheit finden könne, trägt auch Hemsterhuis vor, aber auf eine Art, dass er allen den unrichtigen Folgerungen vorbeugt, die Novalis daraus zieht. So spricht jener Philosoph in seinem Alexis:

Der Zweck der Poesie ist Darstellung des Schönen. Die Schönheit löset sich auf in die Menge der Ideen, und in die Kürze der Zeit, deren es bedarf, sie an einan- [Spalte 586:] der zu fügen oder zusammenzusetzen. Die Fähigkeit, die Ideen am meisten und am besten zu nähern, ist es, was das Schöne und das Erhabene hervorbringt, und was jene Seelen, die darum einen nähern Umgang mit der Gottheit zu haben scheinen, grosse Wahrheiten gleichsam unmittelbar und auf einen Blick entdecken lässt. Die Poesie ist der Wahrheit, was Aurora der Bildsäule des Memnon, wenn sie dieser Licht und Sprache giebt.

Th. II. S. 311 sagt Novalis:

Alle Ueberzeugung ist unabhängig von der Naturwahrheit, sie bezieht sich auf die magische oder die Wunderwahrheit. Von der Naturwahrheit kann man nur überzeugt werden, in so fern sie Wunderwahrheit wird. Aller Beweis fusst auf Ueberzeugung, ist mithin nur ein Nothhelf im Zustande des Mangels an durchgängiger Wunderwahrheit. Alle Naturwahrheiten beruhen demnach ebenfalls auf Wunderwahrheiten.

Hemsterhuis in seinem Dialoge über die Gottheit trägt denselben Gedanken vor, aber freylich viel verständlicher, wie sich von einem Manne erwarten lässt, der keiner Affectation fähig war. Er sagt:

Der Mensch ist offenbar zweyer Arten von Ueberzeugung fähig, die eine ist ein inneres in dem wohlgearteten Menschen unvertilgbares Gefühl, die andere geht aus vom Räsonnement, d. i. von einer methodisch geleiteten Arbeit des Verstandes. Die zweyte kann nicht Statt finden, ohne die erste zur einzigen Grundlage zu haben: denn steigt man zu den ersten Principien aller unserer Kenntnisse, von welcher Art sie auch seyn mögen, hinauf: so gelangt man zu Axiomen, d. i. zur blossen Ueberzeugung des Gefühls; und sey versichert, dass der Olymp, der Tänarus und die lachenden Fluren jenseits des Acheron, obgleich ausgeschmückt und umgebildet durch die Poesie, zur ursprünglichen Quelle die Ueberzeugung von einer dreifachen Wahrheit haben.

Und dann setzt er weiter unten hinzu:

In dem Maasse als die Menschen ihre Bedürfnisse vervielfältigt, haben sie ihre Verstandesfähigkeiten ausgebildet; und das innere Gefühl hat von seiner Lebendigkeit verloren. Der sichere und geometrische Gang des Verstandes hat gemacht, dass man die bestimmte und scharfbegränzte (précise) Ueberzeugung vorgezogen hat der Ueberzeugung des Gefühls, die von einer unendlichen Einfachheit ist, und deswegen schwankend und unbestimmt scheint. Die erste dieser Ueberzeugungen ist mehr analog denen unserer Organe, die wir am meisten zu brauchen gelernt haben, und die daher am meisten geübt sind; die zweyte richtet sich nach den Graden der Vollkommenheit, Erhabenheit und des Gehaltes (trempe) der Seele jedes Individuums. Ferner kann ich vermittelst der Sprache die Einsicht eines andern so umändern, dass für ihn dieselbe geometrische und bestimmte Ueberzeugung entsteht, die ich habe, während die bloss auf Gefühl beruhende Ueberzeugung [Spalte 587:] in dem innern Wesen (essence) ihren Ursprung nimmt, und sich nicht mittheilen lässt.

Oft spricht Novalis von einer Zeit, wo die Menschen der Natur näher waren, von einem verloren gegangenen Urvolke, dessen entartete und verwilderte Ueberreste die heutige Menschheit zu seyn scheine.

Hemsterhuis hat der Ausführung dieses Gedankens ein eignes Werk gewidmet, den erwähnten Dialog Alexis, in welchem er sehr wahrscheinlich macht, dass die bey verschiedenen Völkern erhaltenen Sagen von einem goldenen Weltalter keine Fabeln sind, und dass die Menschen in der ungeheuren Revolution, welche das Reich des Saturnus stürzte, einige Organe oder vielmehr einige ihnen analoge Leitzeuge der Thätigkeit verloren haben, welche wir noch jetzt in gewissen Stimmungen schmerzlich vermissen.

Th. II. S. 296 sagt Novalis:

Verstand, Phantasie, Vernunft, diess sind die dürftigen Fachwerke des Universums in uns. Von ihren wunderbaren Vermischungen, Gestaltungen, Uebergängen kein Wort. Keinem fiel es ein, noch neue ungenannte Kräfte aufzusuchen und ihren geselligen Verhältnissen nachzuspühren. Wer weiss, welche wunderbare Vereinigungen, welche wunderbare Generationen uns noch im Innern bevorstehn.

Hemsterhuis in seinem Aristäus sagt:

Es scheint, dass, wenn der Mensch durch Anstrengung oder durch die Vortrefflichkeit seiner Natur zur vollkommnen Harmonie der Kräfte, die wir an ihm kennen, gelangt ist, dass dann andere bis dahin unbekannte Kräfte anfangen, sich in ihm zu entwickeln, und seine Gleichartigkeit mit Gott vermehren.

In dem tiefsinnigen Dialoge Simon, von den Kräften der Seele, legt er der Diotima diese Worte in den Mund: (citirt nach der deutschen Uebersetzung, da das Original nicht zur Hand war)

Auf ähnlichen Flügeln erheben sich einige glückliche Seelen. Sie überlassen sich gänzlich dem Triebe, sich zu vervollkommnen; sie machen sich von Allem, was um sie her irdisch und vergänglich ist, los; sie beschleunigen ihre Entwickelung, und neue Organe zeigen sich. Alsdann werden unsere Verhältnisse mit den Göttern unmittelbarer, und wir entdecken an dem Weltall verschiedene Seiten, die für dich Sokrates und andere Menschen noch in dem Nichts sind; alsdann sehen wir das Verhältniss zwischen Wirkung und Ursache, dringen dadurch in die Zukunft ein, und erhalten von denen, die uns hören und sehen, den geheimnissvollen Namen von Sehern.

Nicht wahr, Leser? diese mystischen Worte lauten etwas lieblicher, als was wir oben hörten von einem absoluten und unendlichen Grundbass und Grunddiscant? Fragt ihr vielleicht, ob es nicht ein Mittel gebe, die Wohllaute reiner Mystik immer bestimmt herauszuhören, und hiedurch der so gefährlichen Verlockung in diesem Labyrinthe widerstehn zu können: so antworten wir: Ja, es giebt ein solches Mittel, und dieses ist ein treues und eifriges Studium der Werke des Plato. Was diesen von an- [Spalte 588:] dern Mystikern vornehmlich unterscheidet, ist, dass er mit einem lebendigen, innigen und tiefen Gefühle für das Ueberirdische einen zarten moralischen Sinn vereinigte, und einen Verstand, eben so ausserordentlich an Umfang als an Feinheit. So oft nun die göttliche Begeisterung, die ihm seine Mythen eingab, ihn anwandelte, ruhte sein Verstand; sobald sie von ihm gewichen war, trat dieser wieder in seine Rechte. Der Wahrheit liebende Mann wollte nicht läugnen, was er gefühlt, und nicht behaupten, was unbegreiflich war. Was that er? Er behandelte es als Spiel. So entstand in ihm jene wunderbare, jene unnachahmliche, sich selbst belächelnde Ironie. Habt ihr euch den Sinn für diese Ironie angebildet: dann könnt ihr euch getrost der Mystik ergeben; ihr könnt alle Mystiker lesen; alle werden euch, wie Novalis, erbauen oder ergötzen, keiner wird euch verwirren.



 


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