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Aquarium > Wirkungsgeschichte im 19. Jahrhundert > Neue Allg. Dt. Bibliothek: Rezension der Athenaeum-Bände 1 und 2 (1800)


»Blüthenstaub« = »Staub«?

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Diese Rezension von »Lh.« ist ein deftiger Verriss der ersten beiden Bände des »Athenaeum« und richtet sich vor allem gegen die Schlegels als Herausgeber. Aber auch Novalis bekommt sein Fett weg. Über seine erste unter dem Pseudonym »Novalis« veröffentlichte Arbeit, die Fragmentsammlung »Blüthenstaub«, schreibt der Rezensent belustigt, jedoch ohne weitere Begründung, »daß hier Blüthenstaub pleonastisch für Staub steht« (S. 43 unten).

Die Bibliografische Angabe der Rezension: Neue Allgemeine Deutsche Bibliothek, Bd. 55, 1. Stück. Kiel: Carl Ernst Bohn 1800. S. 42-44. Sie ist hier in digitalisierten Faksimile einsehbar. (f.f.)

*

[Seite 42:]

Schöne Wissenschaften und Gedichte.

Athenäum. Eine Zeitschrift von A. W. Schlegel und F. Schlegel. Erster Band. Berlin, bey Vieweg dem ältern. 1798. Zweyter Band, bey Frölich. 1799. gr. 8. Jeder Band gegen 1 Alphabet. 2 Rthlr. 16 gr.

Es ist zuweilen ein wahrer Gewinn für den Recensenten, wenn er ein Buch, das mit ungemein großen Ansprüchen auftritt, ohne sie auf irgend eine Art zu realisiren, nicht sogleich anzeigt; sondern dem Publicum Zeit läßt, sich mit dem vermeintlichen Meisterwerke näher bekannt zu machen. Wer zu seinen Lesern von einem gelehrten Produkte, wie von einem alten Bekannten, sprechen kann, darf, wenn er sich auf ein allgemeines Urtheil einschränkt, weder fürchten, von ihnen mißverstanden, noch, als absprechend, in Klage genommen zu werden.

Wir befinden uns in diesem Falle mit dem Athenäum der Hn. Gebrüder Schlegel. Ungeachtet, der Vorerinnerung zufolge, die Tendenz ihres Journals philosophisch seyn sollte; so ist sie doch eigentlich bloß literarisch, und wiewohl sie versprechen, sich von keiner andern Rücksicht, als von unbestechlicher Wahrheitsliebe leiten zu lassen: so hat ihnen doch die Göttinn Philantie den Possen gespielt, und ihnen überall thörichte Anmaaßung und blinde Vorliebe für ihre Freunde, am meisten aber für ihr eignes werthes Ich untergeschoben. Wie von einem Feuer, das vom Herrn ausgeht, die Bäume [Seite 43:] des Waldes niederstürzen: so sinken durch die allgewaltigen Kiele der Herren Gebrüder die Schriftsteller Deutschlands zur Rechten und Linken. Garve – kann dann der größte deutsche Philosoph heißen, wenn Nichts zuweilen so viel bedeutet, als Alles ein wenig; Lafontaine – erscheint auch in dem Besten, was er gemacht hat, als Stümper; Wieland – hat alles gestohlen. Wo man hinsieht, überall liegen Verwundete und Getödtete. Hier, denkt man, bleibt Niemand leben, als Kant und Göthe, und fühlt sich von nicht gemeiner Bewundrung für die verbrüderten sublimen Geister durchdrungen, die nichts dulden, als das Vortrefflichste und Höchste.

Diese Achtung für die beyden großen Brabeuten, verbunden mit einem tiefen Mitleid über die Verblendung der Nation und die Hinfälligkeit derer, die sie verehrt, ist die herrschende Empfindung, wenn man die Fragmente, die Recension von Wilhelm Meister und die Beyträge zur Kritik, nebst einigen Notizen, flüchtig durchblättert. Sieht man sich indeß etwas genauer um: so fängt man doch allmählig an, sich zu erholen, und von seinem Erstaunen, wie von seinem Bedauern, zurückzukommen; denn alsdann bemerkt man, daß auch der Verfasser der wundersamen Liebesgeschichte der schönen Magellone und des Grafen Peter aus der Provence, Hr. Tieck, ein gar armer und schwächlicher Heros, neben dem Heros Göthe genannt wird, und die H. Brüder selbst nicht undeutlich zu verstehen geben, was Maaßen sie wohl auch ihre Stelle neben Kant und Göthe behaupten dürften.

Wenn nun diese unvermuthete Entdeckung auf der einen Seite schon tröstet, kräftiget und stärket: so wird man auf der andern vollends guter Dinge und gleichsam neu geboren, wenn man zu den eigentlich genialischen Darstellungen fortgeht, und etwa ein wenig an Novalis Blüthenstaub schüttelt, oder auf die Töne horcht, die aus dem eilften Gesange des rasenden Roland, übersetzt von W. Schlegel, hervorquellen. Denn kaum hat man von dem ersten ein wenig eingeathmet: so empfindet man sogleich, daß hier Blüthenstaub pleonastisch für Staub steht, und kaum von dem letzten einige Accorde vernommen, als man sich zu verwundern anfängt, wie ein Dichter von nur mittelmäßigem Sinne für seine Kunst, folgende Zeilen für Stanzen ausgeben könne, weil er sie stanzenartig in einander gestreckt und gereckt, und stanzenartig abgesetzt habe:

[Seite 44:]

Nach allen Seiten sieht sich Rüd'ger um,
Und macht im Kreise, wie ein Toller, Sprünge.
Allein er bleibt vor Scham und Aerger stumm,
So bald ihm etwas einfällt von dem Ringe,
Flucht dann auf sich, und schilt sich blind und dumm,
Daß er gefallen sey in diese Schlinge.
Er klagt der Schönen schwarzen Undank an,
Die ihm, zum Lohn der Rettung, dieß gethan.

O undankbares Mädchen! konnt' ich glauben.
So sagt er, daß ich dieß verdient um dich:
Was willst du doch den Ring mir lieber rauben,
Als zum Geschenk von mir ihn haben: Sprich!
Gern will ich alles deinem Wunsch erlauben,
Nimm meinen Schild, mein Flügelroß, und mich.
Nur daß du mir dein holdes Antlitz zeigest!
Ich weiß, du hörst, Grausame, und du schweigest.

Der Born wird häufig rings von ihm umgangen,
Und wie ein Blinder tappt er, weil er ruft.
Wie oft, indem er wähnt, sie zu umfangen,
Greift er mit seinen Armen leere Luft.
Sie ist indeß schön weit davon gegangen,
Und ruht sich erst bey einer Felsengruft,
Geräumig, tief in einen Berg gegründet,
Wo sie an Nahrung ihr Bedürfniß findet.

Bravo! Solche Verse macht Wieland freylich nicht, und hat dergleichen in seinem Leben nicht machen können. Solche Kunststücke theilt die Muse nur ihren vertrautesten Jüngern, den H. Schlegel und Tieck, mit. Doch so eben besinnen wir uns, daß Hr. Schlegel unserer Bibliothek ausdrücklich Schuld giebt, ihre demüthige Maxime sey, die armseligsten Produkte im Fache des Geschmacks noch tiefer herunterzusetzen; von den Meisterwerken aber, die den Fortschritt der Bildung bezeichneten, gar keine Notitz zu nehmen. Wir nehmen dankbarlichst die Warnung an, und wollen uns wenigstens durch die Beurtheilung des Athenäums den Raum für bessere Werke nicht verkümmern.

Lh.



 


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Letzte Änderung am 17.05.2005.
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